Uber, Bolt und Freenow: Wie Berliner Mietwagenunternehmer die Plattformen für Sozialkassenbetrug nutzen
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5.3.2024 von Deana Mrkaja - Bolt, Freenow und Uber vermitteln in Berlin Autofahrten zu Kampfpreisen. Doch nicht alle Mietwagenfirmen, die diese Plattformen nutzen, sind seriös. Einige nutzen die Kontrolllücken systematisch aus.
Kambiz steht mit seinem Taxi bereits seit mehr als zwei Stunden am Berliner Hauptbahnhof und wartet. Das passiert ihm in letzter Zeit häufig. „Bolt hat das Taxi-Geschäft kaputt gemacht“, sagt der Mann. Denn seitdem die Konkurrenz auf dem Markt ist, läuft es schlecht für ihn. Kambiz möchte nicht mit vollständigem Namen zitiert werden, um möglichen Ärger zu vermeiden.
Die günstigen Preise von Bolt, Freenow und Uber führen zu immer weniger Fahrten bei den Berliner Taxiunternehmen. Während die Mobilitätsfirma Bolt aus dem estnischen Tallinn mit Deutschland-Zentrale am Alexanderplatz für 10,60 Euro vom Hauptbahnhof zum Kottbusser Tor fährt, wird mit einem regulären Taxi das Doppelte fällig.
„Ich habe keine Lust mehr zu arbeiten“, sagt Kambiz. Die Warterei nerve ihn nicht nur, sondern sorgt auch für finanzielle Engpässe. Denn als Taxifahrer richtet sich sein Gehalt nach dem Tagesumsatz. Weniger Fahrten bedeuten weniger Geld.
So wie Kambiz geht es immer mehr Taxifahrern in Berlin und anderen deutschen Städten, in denen die Fahrdienste zugelassen sind, wie beispielsweise in Köln oder Frankfurt. Dabei sind die ausbleibenden Fahrten nur ein Problem. Den Mietwagenfirmen, mit denen Bolt und Co zusammenarbeiten, wird nach Tagesspiegel-Recherchen Sozialbetrug vorgeworfen – und das im großen Stil.
„Als Fahrer bei diesen Firmen musst du dich kriminalisieren, ob du willst oder nicht“, behauptet Leszek Nadolski, erster Vorsitzender der Berliner Taxiinnung. Anders als Taxiunternehmen müssen diese Firmen 19 statt sieben Prozent Umsatzsteuer abführen. Die digitalen Plattformen kassieren rund 25 Prozent des Umsatzes, weitere fünf Prozent gehen an den Generalunternehmer, hinzu kommen Kosten für Benzin, Versicherung und Abnutzung der Autos, und das alles bei niedrigen Kosten pro Fahrt. Für Nadolski und weitere Experten der Branche ist klar: Legal sind solche Mietwagenunternehmen nicht kostendeckend zu betreiben.
Die Betrugsmasche soll folgendermaßen ablaufen: Digitale Mobilitäts-Plattformen vermitteln ihre Aufträge nicht direkt an einzelne Fahrer, sondern an Subunternehmer, sogenannte „Mietwagenfirmen“. Die Fahrer sind bei ihnen angestellt. Diese sollen laut Tagesspiegel-Recherchen als Minijobber beschäftigt werden, während sie in Wahrheit in Vollzeit tätig sind. Doch Geringfügigkeit wird an das zuständige Finanzamt gemeldet, beim Jobcenter wird aufgestockt, und „den Rest des Geldes kriegst du bar auf die Kralle vom Mietwagenunternehmen“, kommentiert der Taxifahrer Mesut den organisierten Betrug.
Das ist kein Kavaliersdelikt, das ist organisierte Kriminalität mitten in der deutschen Hauptstadt.
Mesut, Taxifahrer
„Leistungen beziehen mit wenig offizieller Anmeldung“ laute das Motto. „Dieser Betrug ist so offensichtlich, jeder von uns weiß das, aber niemanden interessiert es. Das ist kein Kavaliersdelikt, das ist organisierte Kriminalität mitten in der deutschen Hauptstadt“, sagt Mesut, dessen Nachname nicht genannt werden soll. „Wer versucht aufzuklären, wird bedroht.“
Nadolski hingegen spricht offen darüber. Bereits seit zwei Jahren versuche er mit seinem Verein das Thema auf die politische Agenda zu bringen. Er nennt es „höchst organisierte Schwarzarbeit“. Die zuständigen Behörden hätten ihm jedoch zu verstehen gegeben, dass so etwas in Deutschland gar nicht möglich sei.
Fahren mit gefälschten Papieren
Auch Kambiz und Mesut haben versucht, bei Bolt und Co anzuheuern. Kambiz, weil er seine Familie kaum mehr über die Runden bringt. Mesut, weil er dem Betrug nachgehen wollte. Beide Taxifahrer berichten unabhängig voneinander vom Ablauf. Auf der Seite Kleinanzeigen.de und in diversen Facebook-Gruppen wird nach Fahrern gesucht. Flexible Arbeitszeiten, pünktliche Lohnzahlungen, Trinkgeld und auch Bonuszahlungen werden geboten.
Per Anruf oder WhatsApp-Nachricht kann sich jeder bewerben, der einen Führerschein hat. Firmennamen oder Ansprechpartner werden nicht genannt. Kambiz erzählt, die Bedingung für eine Anstellung sei gewesen, dass er Sozialbetrug begeht: „Sie wollten nichts offiziell anmelden.“
Man habe ihm sogar angeboten, unter gefälschtem Namen und gefälschter Steuernummer zu arbeiten. „Was, wenn ich kontrolliert werde?“, wollte er wissen. „Dann sagst du einfach, es ist dein erster Tag und du weißt von nichts“, habe die Antwort gelautet. Kambiz verlangte einen legalen Vertrag, doch bekam nach eigenen Angaben eine Absage des Unternehmens.
Ähnliches berichtet auch Mesut. Auf Türkisch habe er mit dem Betreiber einer Mietwagenfirma gesprochen. „Ich habe behauptet, dass ich Bürgergeld beziehe, aber trotzdem mehr arbeiten will.“ Als Antwort bekam Mesut, dass es kein Problem sei, man würde das Ganze schon regeln. „Ich hätte das Gespräch aufnehmen sollen“, sagt er im Nachgang. Auch Nadolski bestätigt dieses Muster – er habe es selbst bei mehreren Nummern versucht.
Die Transportbranche: „schwarzarbeitslastig“
Das Hauptzollamt in Berlin ist zuständig für die Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigungen. Auf Nachfrage teilt das Amt mit, dass die Transportbranche generell „schwarzarbeitlastig“ sei. Konkretes zum Vorwurf könne man nicht sagen, jedoch sei die Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf der Straße tätig.
Demnach werden Taxifahrer, aber auch Fahrer der digitalen Dienstleistungsfirmen, stichprobenartig kontrolliert. Die Daten würden mit dem Arbeitgeber abgeglichen. Falls es Verdachtsfälle gebe, würden diese auch beim Jobcenter oder der Rentenversicherung überprüft werden. Wie jedoch kontrolliert werden soll, ob Geld bar und somit am Fiskus und den Ämtern vorbei ausbezahlt wird, konnte das Hauptzollamt nicht beantworten.
Drei Beamte kümmern sich um ganz Berlin. Ich glaube nicht, dass man dieses Problem jemals in den Griff bekommt.
Leszek Nadolski über das Hauptzollamt
Kambiz, der bereits seit 25 Jahren Taxi fährt, kann über die Aussage des Zolls nur schmunzeln. In all den Jahren sei er nur ein einziges Mal kontrolliert worden. Auch Nadolski lacht, wenn man das Hauptzollamt erwähnt. „Drei Beamte kümmern sich um ganz Berlin. Ich glaube nicht, dass man dieses Problem jemals in den Griff bekommt.“
Burkard Dregger, der innenpolitische Sprecher der Berliner CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, zeigt sich alarmiert. „Wenn das so ist, muss dies so schnell wie möglich ein Tagesordnungspunkt im Innenausschuss werden.“ Dregger betont, dass es der „originäre Auftrag“ des Zolls und den Finanzverwaltungen sei, unzulässiger Aufstockung und Schwarzarbeit nachzugehen. „Ich frage mich da, reichen unsere Instrumente?“ Falls nicht, müsse man parlamentarisch Druck ausüben.
Tino Schopf, den Sprecher für Mobilität und Verkehr der SPD-Fraktion, treibt das Thema schon seit Monaten um. Er spricht von „mafiösen Strukturen und organisierter Schwarzarbeit“. Er sieht das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) in der Pflicht, die Behörde sei seinen Aufgaben jedoch nicht gewachsen. Die SPD hat sich vorgenommen, das Thema anzugehen, und setzt sich dafür ein, das Taxigewerbe in Berlin zu sichern.
4498 Mietwagen gibt es laut dem Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten aktuell in Berlin.
Laut Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten gibt es derzeit 4498 Mietwagen und 691 Mietwagenunternehmen in Berlin (Stand Januar 2024). Ginge man davon aus, dass ein Drittel von ihnen, rund 1350 Mietwagenfahrer, Sozialbetrug begehen, indem sie ihre Geringfügigkeit illegal mit Bürgergeld aufstocken, würde das Amt je nach familiärer Lage rund 2000 Euro monatlich dazugeben. Bei 1350 Aufstockern käme pro Monat eine Summe von 2,7 Millionen Euro zusammen, die fälschlicherweise ausbezahlt wird.
Firmen, die es gar nicht mehr gibt
Doch warum ist es so schwer, den Betrügern auf die Spur zu kommen? Kürzlich veröffentlichte Recherchen des rbb decken auf, dass einige Mietwagenfirmen bereits aus dem Handelsregister gelöscht wurden, aber trotzdem weiter Fahrten von den Plattformen durchführen. Der erste Vorsitzende der Berliner Taxiinnung behauptet, die Masche der Mietwagenfirmen zu kennen.
Unbekannte Hintermänner würden junge Menschen mit Geld locken, um als Geschäftsführer der Mietwagenfirmen zu agieren. Nach einer gewissen Zeit würden die Firmen ins europäische Ausland verkauft werden, sodass es schwierig wird, nachzuvollziehen, wo der vermeintliche Sitz der Firmen ist.
Selbst wenn einer der eingesetzten Geschäftsführer überführt würde, könnte er beweisen, das Unternehmen nicht mehr zu besitzen, während seine Fahrer weiterhin Aufträge der digitalen Dienstleister durchführen. Freenow, Bolt und Uber seien so „sauber wie das Amen in der Kirche“, fasst Nadolski zusammen, denn ihre Aufgabe sei es nicht, „Mindestlöhne zu zahlen und Regeln einzuhalten, sondern Provisionen zu erhalten“.
Die Plattformbetreiber wollen mit Behörden kooperieren
Alle drei Unternehmen haben sich in einem schriftlichen Statement zu den Vorwürfen geäußert. Freenow teilt mit: „Wir distanzieren uns von jeglichen Praktiken, die gegen das Gesetz verstoßen, einschließlich Schwarzarbeit und ungerechtfertigter Inanspruchnahme von Sozialleistungen. Freenow agiert als Vermittler der Fahrten und nicht als Betreiber der Mietwagen. Fehlverhalten dieser oder anderer Art wird von uns nicht toleriert und kann zur Sperrung des jeweiligen Unternehmens von unserer Plattform führen.“ Das Unternehmen gibt weiter an, mit den zuständigen Behörden zu kooperieren, um den Zugang illegaler Mietwagenunternehmen „noch besser auszuschließen“.
Bolt lässt mitteilen, dass sie selbst „keine Möglichkeit haben, um zu überprüfen, ob Mietwagenunternehmen, die Bolt für die Vermittlung von Fahrten nutzen, Sozialbetrug begehen oder nicht.“ Bolt behauptet weiter, nur mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, die ihre AGBs bestätigten. Auf Nachfrage, wie dies genau überprüft würde, gab es keine Antwort mehr. Auch Uber antwortete ähnlich. Man würde nur mit „lizensierten und unabhängigen Taxi- und Mietwagenunternehmen zusammenarbeiten, welche der Aufsicht der Genehmigungsbehörden unterliegen“.
„Das ist das Ende für alle Taxifahrer“, sagt Kambiz. Sein Nachbar, der ebenfalls sein Leben lang Taxi fuhr, habe schon aufgehört. Immer mehr Kollegen würden darüber nachdenken, den Job zu wechseln. Kambiz zeigt sich resigniert: „Für uns Taxifahrer gelten Tausende Gesetze und Auflagen, und die anderen machen, was sie wollen“.